Solidarität in Zeiten der Corona-Pandemie

Christian Leye

Das Corona-Virus stellt uns alle vor großen Herausforderungen. Die

einschneidenden Änderungen in unserem Leben sind notwendig, um morgen

Leben zu retten - vielleicht unseres, vielleicht das von nahen

Verwandten oder Freunden, vielleicht das von Genossinnen und Genossen,

vielleicht aber auch das von Unbekannten. Es zeigt sich in der Krise:

Niemand von uns lebt alleine auf einer Insel, wir hängen alle zusammen,

im Guten wie im Schlechten. Und wir brauchen eine Gesellschaft, die sich

um uns alle kümmert.

 

Wir müssen jetzt verhindern, dass zu viele Menschen gleichzeitig krank
werden, weil die Gefahr besteht, dass unsere Krankenhäuser den Druck
nicht schaffen. Die Alternative wäre triagieren: Im Krankenhaus würden
wie in italienischen Krisenregionen diejenigen ausgesucht, die die
wenigsten Überlebenschancen haben, und die dann nicht an die knappen
Beatmungsgeräte dürfen. Konkret bedeutet das ein Todesurteil für die
Betroffenen. Um diese Situation zu vermeiden, müssen wir den Wettlauf
antreten zwischen einem hochansteckenden Virus und den Kapazitäten in
unserem Gesundheitssystem, auch weil diese jahrelang und systematisch
heruntergefahren wurden. Heute ist unsere Solidarität so sehr gefragt,
weil über viele Jahre Solidarität und die Gemeinschaft nichts zählten.
Darüber wird noch zu reden sein, und gerade wir als Linke sind
gefordert, zur richtigen Zeit hart in die Diskussion einzusteigen.

Corona bedroht nach allem, was bisher bekannt ist, vor allem die
gesundheitlich Geschwächten, die Alten, die Kranken. Auch das ist eine
Frage der Solidarität. Nun wurde ein Kontaktverbot beschlossen. Die
Maßnahmen der Regierung erhitzen die Gemüter auch bei einigen in unserer
Partei, in den vergangenen Tagen war teils von autoritärem Regieren und
von einer Beschneidung bürgerlicher Rechte zu lesen. Lasst uns bitte
einen klaren Kopf behalten. Faktisch handelt es sich um temporäre
Ausgangsbeschränkungen. Die Menschen können unter anderem weiter
spazieren gehen, sie können joggen oder Fahrrad fahren. Natürlich gibt
es Einschränkungen, aber die Debatte darüber darf nicht aus dem Ruder
laufen. Weder das Kapital noch die Regierung profitieren aktuell von
dieser Situation. Für das Kapital bricht einerseits massiv Nachfrage
weg, und gleichzeitig steht ein Teil der Produktion still. Das betrifft
bei weitem nicht nur Kleinstbetriebe, sondern auch Schlüsselindustrien
wie die Automobilbranche, die teilweise europaweit die Produktion
eingestellt hat. Auch die Regierung muss sich definitiv nicht durch eine
Ausgangssperre vor revolutionären Unruhen schützen, wie es in
Militärdiktaturen vorkommt, und auch hier sind alle Vergleich schief.

Stellen wir uns vor, die Situation wäre andersrum: Die Regierungen
würden den normalen Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten, damit die
Profite des Kapitals nicht einbrechen, und darauf spekulieren, dass ein
paar zehntausend Alte, Kranke und Arme dafür sterben müssen. Diesen Weg
hatte die rechte britische Regierung für einige Tage eingeschlagen, bis
sie dem politischen Druck nicht mehr standhielt und umsteuern musste. So
ein Wahnsinn, den Tod von Zehntausenden in Kauf zu nehmen, um die
Profite des Kapitals nicht zu gefährden, wäre doch tatsächlich ein Grund
für Protest von links. Stand heute scheint ein Kontaktverbot ein
schwieriges, aber möglicherweise geeignetes Mittel von mehreren zu sein,
um die Verbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. In einigen Tagen
werden wir wissen, ob es die Ausbreitung des Virus verlangsamt hat - und
dann kann man anhand von Fakten weiter diskutieren.

Was kann die Aufgabe der Linken in der Corona-Krise sein?

Das Virus betrifft besonders jene, die kein Homeoffice machen können wie
Krankenschwestern, Beschäftigte in der Lebensmittelindustrie oder im
Einzelhandel. Und es betrifft die Armen, die sonst schon kaum durch den
Monat kommen, die in kleinen Wohnungen ausharren oder bei denen die
Hilfseinrichtungen jetzt schließen. Es ist ganz konkret unsere Aufgabe,
das Krisenmanagement der Bundes- und Landesregierung aus linker
Perspektive zu betrachten, damit nicht nur das Kapital durch riesige
Rettungsschirme geschützt wird, sondern vor allem auch Beschäftigte,
Solo-Selbständige und Freiberufler abgesichert werden und die Hartz-IV
Sätze sofort erhöht werden. Krisenpolitik in einer solchen
Ausnahmesituation ist eine Klassenfrage.

Und es heißt, dass man denen Hilfe anbietet, die sie brauchen: in
unserer Familie, in unserer Straße, in unserer Stadt. Ich bin überzeugt:
Eine Linke, die in dieser Situation keine Hilfe vor Ort anbietet, kann
einpacken. Das kann nur dezentral laufen, und wir werden uns
diesbezüglich noch bei Euch melden.

Die ökonomischen und daraus folgenden politischen Folgen der Krise sind
Stand heute noch nicht vollständig abzuschätzen und haben sich auch noch
nicht entfaltet. Wir werden uns wohl auf eine harte Wirtschaftskrise
einstellen müssen, möglicherweise viel härter als die Finanzmarktkrise
von 2007. Ich denke, dass die sozio-ökonomischen Verwerfungen erst
beginnen und dass wir bald schon linke und sozial gerechte Antworten auf
die vielen Probleme brauchen werden. Ich halte es dabei für möglich,
dass bald Maßnahmen gesellschaftlich breit diskutiert werden, die tief
in die Produktionsverhältnisse eingreifen. Spanien hat bereits heute
alle Krankenhäuser verstaatlicht, weil der Markt es eben ganz und gar
nicht regelt. Italien hat eine Fluggesellschaft verstaatlicht, und die
ökonomische Krise hat noch gar nicht richtig begonnen. Wenn das
herrschende Wirtschaftsmodell in Frage gestellt wird, wenn es um
Gemeinschaft und Schutz von uns allen und um die Organisation von
Solidarität geht, dann weht der Wind von links. Darauf sollten wir uns
als Partei jetzt vorbereiten, damit wir in diese Debatten eingreifen
können.

 

Bleibt gesund, schützt euch und andere, helft einander!